Wenn die Partnerschaft an einem Entscheidungspunkt steht, lässt uns das Gefühl nicht los versagt zu haben. Das war nicht der Plan. Wir wünschen uns zurück zu einer Normalität, die Andere scheints haben. Doch was bedeutet das und wäre es die Lösung?
„Wir hätten gerne eine normale Beziehung.“ Diese Antwort meiner Klienten kommt meist nach den ersten Abklärungen, in denen die grosse Last der Schwierigkeiten, getragen meist über viele Jahre hinweg, endlich einen Raum findet ausgesprochen zu werden. Oft zum ersten Mal überhaupt. Dann rückt das Ziel der Beratung in den Fokus, der Wunsch der Klienten, wie es zum Abschluss einer erfolgreichen Beratung für sie aussehen könnte. „Was wünschen Sie sich vom Ausgang dieser Beratung? Was erhoffen Sie sich? Was ist ihr Ziel?“
Oft höre ich dann: „Wir wünschen uns einfach eine normale Beziehung. So wie es jetzt ist, ist es ja nicht normal.“ Ich entgegne dem: Definieren Sie mir normal. Was genau ist Ihre Vorstellung einer normalen Beziehung?
Die Antworten darauf sind einfach und schwierig zugleich. Wir würden gerne normal miteinander reden können. Was genau verstehen Sie unter normal reden? Wir können nicht richtig kommunizieren. Wir hätten gerne normalen Sex. Was genau verstehen Sie unter normalem Sex? In normalen Beziehungen verbringt man doch mehr Zeit miteinander. In normalen Beziehungen streitet man nicht so oft. In normalen Beziehungen schläft man doch im selben Bett oder zumindest nicht einer auf dem Sofa. In normalen Beziehungen sagt man sich doch wie es einem geht. In normalen Beziehungen isst man doch zusammen, wenigstens am Abend oder wenigstens einmal am Tag….
Wir sprechen hier von ganz „normalen“ Beziehungen. Nicht etwa von gewalttätigen, schwer traumatisierten oder schwer depressiven Systemen.
Aber was ist denn nun normal? Normalität bezieht sich doch auf eine festgelegte Norm und auf deren Einhaltung. Gesellschaftliche Normen geben uns einen Rahmen vor für ein soziales Miteinander. Formen der Höflichkeit, Tischbenehmen, wie wir uns begrüssen und verabschieden. Verhaltensregeln, die wir voraussetzen und die zu erwarten sind. Doch Liebe und Partnerschaft ist keine Norm. Keine Beziehung, keine Ehe, keine Partnerschaft ist wie die Andere. Jede von ihnen ist so individuell, wie die beiden Menschen, die sie ausmachen. Nach aussen hin mögen Partnerschaften einer gewissen Norm entsprechen, könnten wir jedoch deren individuellen, persönlichen Raum betreten, wären wir überrascht wie wenig das was wir sehen mit unserer Vorstellung einer normalen Beziehung gemein hat.
Denn, das Wichtigste überhaupt: es gibt keine normalen Beziehungen. Normal ist das Konstrukt, der nach aussen gegebene Rahmen. Wie wir wohnen, ob wir verheiratet sind, Kinder haben, wie wir in den Urlaub fahren, wie wir arbeiten. Das innere Leben, die Intimsphäre, der ganz eigene private Ton jeden Paares ist so faszinierend, verschieden und unvergleichlich wie kaum sonst etwas.
Wir dürfen also damit aufhören, vergleichend die nachbarliche Familie zu betrachten. Die anscheinend schöne heile Welt unserer Kollegenpärchen zu ersehnen. Verabschieden wir uns von der Formel „man sollte“ oder „man müsste“. Die Frage, die sich stellt ist „wie stimmt es für uns beide“ und „wo verstecken sich die Gründe für den derzeitigen Status quo“. Denn hinter jeder der gegebenen Antworten auf die Frage „was ist für Sie normal?“ steckt mehr, als es den Anschein hat. Dahinter verbergen sich die elementaren Wünsche und Bedürfnisse des Einzelnen und des Paares. Und die Strukturen, die zum Status quo geführt haben. Und dieser schmerzt.
Wir wollen keine genormte Beziehung. Wir wollen überrascht werden, geliebt sein, gehört und verstanden werden. Wir brauchen Nähe, Zärtlichkeit, Respekt, Freiheit, Vertrauen, Akzeptanz, Sicherheit und Geborgenheit. Wir möchten teilhaben am Leben unseres Partners, gleichberechtigt neben ihm stehen, Verantwortlichkeiten teilen.
Bei dem Versuch unsere Beziehung zu retten begeben wir uns oft auf die falsche Fährte. Wir suchen Gründe und Schuld, machen Vorwürfen, werten uns ab, spielen Rollen, manipulieren, streiten, verletzten, resignieren und schweigen. Die Versuche enden immer gleich, immer ernüchternd. Wir wollen doch und können nicht. Sind gefangen im Kreislauf, den wir nicht zu durchbrechen vermögen. Wir erkennen die Ursachen nur andeutungsweise oder gar nicht.
Nähe und Distanz, Konflikte und Liebe, Angst und Sicherheit, all das wurde uns vorgelebt, haben wir als Muster erfahren. Bei unseren Eltern, Geschwistern, in unseren ersten Beziehungen, etc. Werden wir in die Enge getrieben, handeln wir aus dem Affekt heraus nach alten, gelernten Verhaltensweisen und erwischen uns dabei wie wir uns plötzlich anhören wie unser Vater oder unsere Mutter. Unser Partner sagt oder tut etwas, das in uns ein überdimensionales Gefühl von Wut und Hilflosigkeit auslöst und uns zu einer nicht im Verhältnis stehenden Reaktion bewegt. Würden wir tiefer nachschauen, würden wir uns vielleicht in einer immer wiedergekehrten Situation mit unserem Bruder oder unserer Schwester wiederfinden, in der wir zutiefst frustriert, unverstanden und hilflos waren.
Viele Erfahrungen in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen und verändern uns. Positiv wie negativ. Wir passen uns an, wir rebellieren, wir lernen dazu und entwickeln uns weiter. Und doch haben wir Wurzeln.
Einer der Schlüssel, für eine zutiefst befriedigende Beziehung zu unserem Partner, liegt also im Kennenlernen von uns selbst. Darin, zu erfahren warum wir manchmal handeln wie wir es eigentlich gar nicht wollen. Darin, unseren Triggern aus der Vergangenheit auf die Spur zu kommen, um in Zukunft befreit und entschieden anders handeln zu können. Dennoch heisst das keines Falls, dass wir unserer Herkunft die ganze Last der Schuld und Verantwortlichkeit, an den Miseren unseres Lebens, geben dürfen. Wir entscheiden, wie wir mit dem umgehen, was uns mit auf den Weg gegeben wurde. Aber: „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“ (August Bebel)
05. Oktober 2018
Corinna Müller